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Die Haube und der Homburg

Meier Helmbrecht – Die Haube als superbia-Symbol – Procol Harums Homburg im Vergleich – Kannte Keith Reid Werner den Gärtner?

In der Eingangsszene wird ausführlich die Haube geschildert, die sich der junge Helmbrecht von einer aus dem Kloster entflohenen Nonne hat anfertigen lassen und in die er seine künstlich gelockten Haare fasst. Einen Homburg gab es damals noch nicht. Der Hut Homburg ist ein hoher Herrenhut aus Filz mit hochgebogener, eingefasster Krempe. Er wurde als „Homburg“ zu einem weltweiten Verkaufsschlager.Der Homburg wurde ursprünglich in der deutschen Stadt Bad Homburg (Hessen) durch die 1806 gegründete Hutfabrik Ph. Möckel hergestellt.

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Homburg

Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Homburg_(Hut)

Auf der Haube sind außer aufgestickten Vögeln und Tanzszenen Motive aus der heroischen Literatur abgebildet. Im Originaltext heißt es dazu:

Genauso wie den Vater nannte man den Sohn:

beide hießen sie Helmbrecht.

In einem knappen, einfachen Bericht

werde ich euch sagen,

was auf der Haube

für wunderliche Dinge abgebildet waren.

Was ich sage, ist wahrheitsgetreu;

denn ich sage es nicht nur so auf Vermutung hin.

Hinten vom Nackenhaar

über den Scheitel bis zum Haarschopf

mitten auf dem Kopf

war der Saum mit Vögeln übersät,

genauso, als wären sie dorthin geflogen

direkt aus dem Spessart.

Auf den Kopf eines Bauern

ist niemals ein bessere Kopfbedeckung gekommen,

als man sie auf Helmbrechts Kopf sehen konnte.

Dem Bauerntölpel

war ungefähr am rechten Ohr

auf die Haube genäht

(wollt Ihr nun hören, was darauf war?):

wie Troja belagert worden ist,

als der vermessene Paris

dem König von Griechenland seine Gemahlin geraubt hatte,

die ihm so lieb war wie sein eigenes Leben;

und wie man Troja erobert hat

und Aeneas von dort geflüchtet ist,

und zwar zu Schiff auf dem Wasserweg;

und wie die Türme herabgestürzt sind

und unzählige Steinmauern.

Ach, daß jemals ein Bauer

solch eine Haube tragen mußte,

von der soviel zu berichten ist! 1

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Meier Helmbrecht mit Haube

Man sieht hier den “Bauernsohn Helmbrecht, der sich mit einem zutiefst höfischen Symbol schmückt, dadurch seinen Aufstiegswillen kundtut und die von Gott gegebene Ständeordnung verletzt.” 2

Entstanden ist die Dichtung wahrscheinlich im Zeitraum zwischen 1250 und 1285 im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet an Salzach und Inn. Die Bauern, die den verstümmelten Meier ergreifen, zerreißen, bevor sie ihn töten, seine Locken und die Haube und treten letztere in den Staub. Während sie sich an ihm mit Schlägen rächten, riefen sie:

Nun gib acht auf deine Haube, Helmbrecht!”

Was an ihr zuvor der Scherge

ganz gelassen hatte,

das wurde nun vollständig zerstört.

Es war ein grausiger Vorgang,

nicht einmal ein pfenniggroßes Stück

von ihr blieb ganz.

Die Papageien und Lerchen,

Sperber und Turteltauben,

die auf die Haube genäht waren,

sie wurden auf dem Weg zerstreut.

Hier lag eine Locke, dort ein Fetzen

von Haube und Haar.

Wenn ich jemals die Wahrheit gesagt habe,

dann glaubt mir

die Geschichte von der Haube,

in wie kleine Stücke man sie zerriß.

Niemals habt Ihr einen Kopf gesehen,

der so kahl war. 3

Die Haube ist ein Leitmotiv und Symbol für Helmbrechts Übermut und „superbia“ (Anmaßung) sowie für die Strafe dafür. Procols Homburg wird nicht zerrissen, sondern aus Demut abgenommen. Über Helmbrechts Gedanken wird nichts berichtet,über die Gedanken des Hutabnehmers auch nicht.

In „Homburg“ von Procol Harum ist die Kopfbedeckung, der Homburg, die letzte Station einer Enttäuschung.Im Gegensatz zur Haube in „Helmbrecht“ ist der Homburg nur schwarz und weist keine Bilder auf.4

Your Trouser Cuffs Are Dirty

And Your Shoes Are Laced Up Wrong

You’d Better Take Off Your Homburg

‚cos Your Overcoat Is Too Long

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Vorausgegangen war eine Eine-Nacht – Bekanntschaft (one night stand – ein erotisches Abenteuer), die schnell ins Nichts zerfällt , von der nur aschengefüllte Aschenbecher bleiben und ein Bett, das durch Lippenstiftspuren gekennzeichnet ist. Der Protagonist empfindet zudem nicht die geringste Lust, die Zeit zu erzählen, denn sie steht still, die Wegweiser deuten ins Nichts. The town clock in the market square Stands waiting for the hour When its hands they both turn backwards And on meeting will devour Both themselves and also any fool Who dares to tell the time And the sun and moon will shatter And the signposts cease to sign

Dem Verlust des Homburgs war eine gescheiterte Beziehung vorausgegangen. Doch was bereitete Helmbrechts Ende vor?

Helmbrecht, der Sohn eines Meiers (eines meist reichen Bauern, der für den Grundherrn Verwaltungsarbeiten ausübt), will nicht länger in seinem Stand verbleiben und harte Landarbeit verrichten, sondern – mit Unterstützung seiner Schwester und der Mutter – Ritter werden. Entgegen den Warnungen des Vaters, der den Sohn auf ein schlechtes Ende seiner Bemühungen hinweist, „lässt der Sohn sich schließlich sein Erbe in Form einer ritterlichen Ausrüstung auszahlen und zieht zu einem Burgherrn, der gerade Fehde führt und ihn in seine berittene Truppe aufnimmt.“5

Deren Art, Krieg zu führen, besteht in Morden, Rauben und Brennen. In Mord und Totschlag also. Helmbrecht führt ein Leben in Überschwang und Fülle, vor allem auf Kosten der Landbevölkerung.Vergleichbar ist im Song „Homburg“ damit nichts.

Helmbrecht verheiratet seine Schwester mit einem seiner Bekannten (Lemberslint). Noch während der Hochzeit werden sie von den Schergen eines Richters überwältigt. Die „Raubritter“ werden erhängt. Helmbrecht ereilt die Höchststrafe: er wird geblendet und verstümmelt.

Nach einem Jahr in der Fremde sucht er bei seinem Vater Unterschlupf, der von dem Geächteten nichts mehr wissen will. Von Bauern, die er einst beraubt und geschunden hatte, wird er zu guter letzt aufgehängt.

Der Autor Werner der Gärtner ist in einer Urkunde nicht nachzuweisen. Auch sein Name, den er im Epilog nennt, ist in seiner Deutung umstritten: Die Leser der Geschichte sollen für den Dichter Fürbitte leisten, „Wernher dem Gartenaere“. Er kommt wahrscheinlich aus Bayern oder Österreich.

Die fahrende Lebensweise des Dichters könnte auch für einen Wandermönch, eventuell für einen Franziskaner, sprechen. Indizien dafür sind nicht nur die Bibelkenntnisse des Autors, sondern auch seine Affinität zu franziskanischem Gedankengut.

Die Erzählung vermittelt als zentrale Lehre: wer sich gegen seinen eigenen Stand auflehnt und den Gehorsam gegenüber den Eltern aufkündigt, wird letztendlich scheitern! Schuster bleib bei deinen Leisten!

“Die Hauptschuld, die auf Gotelint lastet, liegt darin, daß sie ihrem Bruder in die Superbia folgt, indem sie sich genau wie ihr Bruder von ihrem Vater lossagt und ihn nicht mehr als leiblichen Vater anerkennt.” 6 Welche Schuld in “Homburg” auf der Geschäftsfreundin lastet, wird überhaupt nicht behandelt.

Der Song „Homburg“ vermittelt die Einschätzung, dass eine unschickliche Beziehung in einer totalen Enttäuschung enden wird. Der Protagonist ist nicht leiblich, sondern psychisch tot. Das Chaos seiner Kleidung symbolisiert dies.

„Die schmutzigen Hosenumschläge, die falsch geschnürten Schuhe, der zu lange Mantel lassen auf persönliches Versagen, auf den Zusammenbruch der eigenen Welt und vielleicht auch auf gesellschaftlichen Abstieg schließen – der Angesprochene soll von einem Homburg, einem Statussymbol der Oberschicht, Abschied nehmen.“ 7

Hat der Lyriker von Procol Harum, Keith Reid, den „Meier Helmbrecht“ gekannt? Vermutlich nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Stichwort „Homburg, Teil zwei“.

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1 Wernher der Gartenaere, Helmbrecht (mittelhochdeutscher Text und Übertragung), Frankfurt am Main 1974 (2. Auflage), S. 7 ff

2 Patrick Müller,. Symbole und Leitmotive im „Helmbrecht“ Wernhers des Gartenaere, o.O. 2001, Haubenschilderung

3 Wernher der Gartenaere, Helmbrecht, a.a.O., S. 99 ff.

4 https://www.youtube.com/watch?v=oty-xMa-res&list=RDoty-xMa-res#t=23 Dieses Youtoube-Video zeigt den Homburg völlig schwarz

5 Artikel von Theodor Nolte http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45153

6 Olaf Koch, Der Helmbrecht als Familientragödie, o.O. 2001 http://www.grin.com/de/e-book/105059/der-helmbrecht-als-familientragoedie

7 Peter Urban, Rollende Worte – die Poesie des Rock. Von der Straßenballade zum Pop-Song. Frankfurt am Main 1979, S. 273

Empfohlener link
http://www.procolharum.com/w/w9903.htm

Veröffentlicht 26. April 2013 von schauerchristian in Die Haube und der Homburg